Milla lügt!

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Geister und Gschpaischter kann ich ja seit letzter Woche nicht mehr ernst nehmen, Frau Dahinden und SF sei dank. Deshalb wird es höchste Zeit für eine Grusel-Neuorientierung: statt wandelnden Bettlaken steht Entführung durch Ausserirdische auf dem Programm: „The Fourth Kind“ mit Milla Jovovich und William Hurt symbolisiert meine letzte Hoffnung auf abgekaute Fingernägel, mein verzweifeltes Aufbäumen gegen das unerwünschte Schicksal des furchtlosen Mannes. Milla, errette meine Seele! Der angeblich auf wahren Begebenheiten beruhende Film beginnt mit einem Statement von Frau Jovovich, atemberaubend wie eh und je und höchstpersönlich, in dem mir ausdrücklich gesagt wird, die nun folgenden Szenen entsprächen den Ereignissen, die sich im Jahr 2000 im kleinen alaskianischen Städtchen Nome zugetragen haben. Um dies zu untermauern, werden die besonders dramatischen Szenen des Films von echtem Archivmaterial unterstützt. Das klingt ja vielversprechend, denke ich mir und sperre die letzten Sonnenstrahlen unter Anwendung von rücksichtsloser Jalousiengewalt aus. „What you’re about to see, might be disturbing.“ säuselt mir Milla noch warnend ins Ohr. Das ist doch genau der Sinn der Sache, denke ich mir und überlege mir passende Worte für einen Heiratsantrag.

Milla Jovovich-Baehler spielt die Psychologin Dr. Abigail Tyler, die nach dem traumatischen und mysteriösen Tod ihres Mannes heim ins 500 Seelen-Nest Nome zurückkehrt, um zusammen mit ihren beiden Kindern einen Neustart in ein geordnetes Leben zu wagen. Eigentlich sollte es heissen „zurückfliegen“, denn laut Erzählerquasselstrippe kann man das Kaff nur per Flugzeug oder Schiff erreichen. Keine Ahnung, weshalb dann die Kamera keine zwei Sekunden später liebkosend eine zweispurige Schnellstrasse entlangfliegt, welche sich durch den dichten Fichtenwald schlängelt und vermutlich in irgendeinem Plothole in Hinterbobligen endet. Aber es ist ja angeblich alles wahr, und in der Realität gibts keine Storylöcher und auch kein Hinterbobligen. Jedenfalls geschehen müsteriüse Dinge in Nome: sämtliche Patienten von Abigail haben Schlafstörungen und können sich alle nur noch an eine Schleiereule erinnern, die vor dem Schlafzimmerfenster hockt und sie anglotzt. Gruselig, anscheinend haben die armen Schlucker in Nome keine Jalousien wie ich. Die würden ihnen aber eh nichts nutzen, denn schnell wird klar: die Eule, das ist nur eine Art gedankenimplantierter Stellvertreter für fiese altsummerisch quasselnde und menschenentführende Ausserirdische!

Ja, der Film verbreitet wohlige unangenehme Stimmung bisher, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Kamerafahrten über nebelumhangene Tannenwipfel. Ich bin aber doch überrascht, wie schön waldig und bergig das hier aussieht, so hatte ich die Nordwestküste Alaskas aus dem Geografieunterricht gar nicht in Erinnerung. Ich pausiere den Film und surfe mal schnell bei Google vorbei. Was ich finde, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren, was bei sommerlichen Temperaturen gar nicht mal so unangenehm ist:

Nome in "the fourth kind"

Nome, Alaska - die Hollywood Version

Nome, Alaska - die Wikipedia Version

Mein erster Gedanke: verdammt, die fiesen Aliens vom Planeten Xorxos entführen nicht nur Menschen, sondern sind generell in Sommerschlussverkaufslaune und lassen gleich noch alle Berge und Bäume mitgehen! Gut, vielleicht hat man sich gedacht, das ein Kuhdorf in Kanada optisch mehr hermacht als ein Kaff in Alaska, es sei den Filmemachern verziehen, denn die Archivaufnahmen, die sind ja echt. Hat Frau Jovovich schliesslich selber gesagt. Doch nach 40 Filmminuten kommen bei mir Zweifel auf, ob das angeblich echte Archivmaterial wirklich so echt ist. Da flackert das Bild immer genau zur rechten Zeit, jeder Fleck oder Störungsstreifen wirkt so, als erfülle er einen dramaturgischen Zweck und erscheint immer dann, wenn es was interessantes zu sehen gäbe. Beispielsweise, als ein Patient und angebliches Entführungsopfer unter Hypnose beginnt, über (!) dem (!!) Bett (!!!) zu schweben. Auf dem Archivmaterial, wohlgemerkt. Man sieht gerade noch, wie ihn irgendwas hochzieht, dann..Flackerflackerzittermurks. Das wird der Störsender der ausserirdischen Zensurbehörde sein, versuche ich mir einzureden. Warum der denn nicht gleich das ganze „echte“ Archivmaterial desintegriert hat, sei dahingestellt. Überhaupt ist das Abduktionsvorgehen der Aliens wenig effizient. Warum hunderte Leute ausgerechnet aus einer Kleinstadt entführen, wo jeder jeden kennt? Und dann bei den Opfern noch schnell eine halbarschige Gedankenzensur anwenden, welche mit Hypnose problemlos umgangen werden kann? Das gruseligste ist noch die „echte“ Abigail, welche gollumglubschäugig in die Kamera stiert und krampfhaft bemüht ist, in ihren Schilderungen der Vorfälle jegliche Tonalität zu vermeiden. Aber so sieht man vielleicht nun mal aus nach einer Untersuchung mit der Alien-Analsonde. Aber als dann selbst im Archivmaterial der Schatten eines Ufos für Sekunden über den real ja nicht wuchernden Wipfeln des Nome’schen Tannenwaldes schwebt, muss ich leider davon ausgehen, das Miss Jovovich mich angeflunkert hat. Wikipedia bestätigt: die Archivaufnahmen sind genause fake wie der ganze Rest des Films.

Nur eines scheint bei der Geschichte von Nome zuzutreffen: Es gibt dort tatsächlich eine hohe Anzahl an spurlos verschwundenen Personen. Ich bezweifle aber ernsthaft, das ein Ufo nötig ist, um sich dort aus dem Staub zu machen.

Ah ja, und Milla: es ist aus zwischen uns. Lügen sind eine schlechte Basis für eine Beziehung.

7 Gedanken zu “Milla lügt!

  1. Silvana

    Film erstmals heute gesehen, nachdem er wochenlang als konserve in irgendeiner Cloud gammelte. Movie konnte mich nur ungenügend unterhalten, Ablenkung war zugegen und willkommen. Trotzdem – mit einigen Pausen und googeln – bis zum bitteren Ende durchgehalten…… Dein Kommentar hat mich aber sehr amüsiert und so hat sich das dranbleiben an Milla nur allein deshalb gelohnt. Danke dafür. Grüsse aus einem unheimlichen Ort… Uuuuhhhhh

  2. Payam

    Ich hab‘ auch gerade den Film gesehen (nur wegen Milla)
    😉
    Wollte auch gleich bisschen googlen und was über den Ort herausfinden, da finde ich diesen tollen Beitrag.
    Das war richtig amüsant und lustig. Danke dafür.
    Übrigens habe keine Lust mehr über diesen Ort was anderes zu lesen.
    Aber trotzdem liebe ich Milla immer noch.
    😉 :-)))))

  3. Rüdiger Petersen

    Den Film ansich finde ich ist gar nicht mal so schlecht. Menschen die damals verschwunden sind……….tauchten bis heute nie wieder auf. Im Netz ist von den Vorkommnissen nicht viel zu finden aber ueber den Film sehrwohl. Aber seltsam ist auch das nicht mal einer irgendwie wieder aufgetaucht ist oder durch Behörden wiedergefunden wurde. Wenn ich mich recht erinnere ist auch damals das FBI mit eingeschaltet worden. Und die haben einiges an Werkzeugen in der Hand um vermisste Personen zu finden. Alleine durch einen reinen Zufall hätte mal ein vermisster wieder auftauchen müssen. Denn falls sie nur abgehauen sind müssen sich ja diese Menschen irgendwo wieder ein neues Leben aufbauen. Oder sie könnten durch eine ganz normale Verkehrskontrolle auffallen. Schon alles sehr seltsam.

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